EIN SOHN IM SCHATTEN SEINES VATERS (Rezension von Rudolf Habringer vom 11.5.2018)
"Spargel in Afrika" von Corinna Antelmann auf der Studiobühne des Linzer Landestheaters.
Am Ende seiner Tage wohnt der Vater im Altersheim und der Sohn kommt ihn besuchen. Um sich mit dem Vater zu erinnern, ihn zu betreuen, mit ihm zu essen, ihn zu füttern.
Wo das Miteinander-Reden-Können schwer fällt, wo Sprachlosigkeit herrscht, läuft das Erinnern über das Essen. An Spargel, der aus Deutschland nach Afrika bestellt wurde, an Hühnerfrikassee zu Weihnachten, an Eierschwammerl, die im hauseigenen Restaurant serviert werden. Das Bedürfnis zu essen wird zur Metapher für den Hunger, der eben nicht mit Essen gestillt werden kann. ... Die tragende Idee der Inszenierung von Julia Ransmayr besteht darin, die Figur des Vaters als lebensgroße Puppe auf die Bühne zu bringen. In den Dialogen mit dem Vater (Thomas Bammer führt die Puppe selber), gelingen die berührendsten Momente des Abends, etwa als der Sohn, der dem Vater wie aus dem Gesicht geschnitten ist, mit diesem zu einem Tango und der Bachkantate "Komm, du süße Todesstunde" tanzt oder in einer stummen Frühstücksszene, in der er für den Vater den Frühstückstoast bestreicht. Intensiv, konzentriert, und leise zurückgenommen legt Thomas Bammer seine Figur an.
DIE KINDLICHKEIT IN UNS ERHALTEN (Rezension vom 13.5.2018 im Blog NOISING AROUND von Peter Klimitsch)
Der Vater streicht Topfen auf Toastbrot, mit einem Teelöffel verteilt er dann darauf Marmelade. Die Hand führt das Frühstück zum Mund. Des Sohns. Der Sohn ist Thomas Bammer, sein Vater eine Puppe, die er spielt, gebaut von Marianne Meinl. ... Da kommen Erfahrungen aus der Familie auf die Bühne, von seiner Frau, der Schriftstellerin Corinna Antelmann zu einem feinsinnigen Monodrama gesponnen, in dem der Sohn in verschiedenen Motiven von der Begegnung mit dem alternden Vater, nun lebend im 22. Stock eines Pflegeheims, erzählt.... In diese Wartezeit eines Abschiedsnehmens trägt der Sohn Erinnerungen, Freude, Last, Widerstand und Leid der Beziehung zum Vater, den Spiegel auch seiner selbst, wie viel von ihm steckt auch in mir? ... Kann es denn gelingen, sich die eigene Kindheit zu erhalten, Sohn zu bleiben, aber auch selbst Vater, Mann, Ehepartner? Die Fragen der Bewältigung all der verschiedenen sozialen Rollen ist entscheidend für jede und jeden von uns. Ausgehend von einem Blick in die eigene Familie lädt die Familie Antelmann-Bammer mit ihren künstlerischen Mitteln, Literatur und Theater, ein, sich damit auseinanderzusetzen, sich selbst darin zu finden und zu reflektieren. Wer dies annimmt, wird tief berührt und dafür sehr dankbar aus diesem Theaterabend gehen.
DAS LEBEN IN MAHLZEITEN (Kritik Kreiszeitung Rotenburg vom 25.11.2019)
Hütthof - von Ulla Heyne. Was geben wir unseren Kindern mit? Was ist, wenn wir am Ende der Generationenkette aufrücken?
Und wer hat die Deutungshoheit über die Vergangenheit? Manchmal kommen die grossen Fragen des Lebens ganz leise daher. Wie bei "Spargel in Afrika", dem Gastspiel von Thomas Bammer im Hütthofer Theater Metronom.
15 Jahre ist es her, dass Bammer zum letzten Mal in Hütthof war; 1000 Kilometer hat der Wahl-Österreicher zurückgelegt, um am Folgeabend erneut mit dem Theater Triebwerk und "Moby Dick", zuerst aber mit dem Ein-Mann-Stück "Spargel in Afrika" von Corinna Antelmann auf der Metronom-Bühne zu stehen. Wobei: Eigentlich sind es zwei Personen, denn den sterbenden Vater, den der Mittsechziger im Krankenhaus besucht und bis zum Tod begleitet, verkörpert eine lebensgroße, fast bestürzend realistische Puppe mit seinem gealterten Ego.
Am Anfang ist der Spargel. Im Einspieler auf der Leinwand: eine Nahaufnahme des väterlichen Mundes. Still. Lang, fast unerträglich lang - für das Publikum genauso wie für den kleinen Jungen, der sich während der Mahlzeiten ein Stück Zuneigung oder wenigstens elterliches Interesse erhofft hätte. Überhaupt, das Essen: in der Retrospektive angesichts des nahenden Lebensendes scheint es eine omnipräsente Rolle gespielt zu haben - im Guten wie im Schlechten. Die gemeinsamen Erinnerungen an böhmische Serviettenknödel oder eben den vom afrikanischen Koch ruinierten Spargel - war es das, was das Leben des Altvorderen ausgemacht hat? Oder ist das nur die Wahrnehmung des Sohnes, eine Realität von vielen? Das Hühnerfrikassee, das zunächst die Mutter, später der Sohn dem Kriegsheimkehrer kochten, um ihm alles recht zu machen: Sinnbilder für einen, der von allem genug hat oder doch nie genug. Einem, dem es in seiner Kindheit selbst nach Zuwendung dürstete, einem "Stück Mutterkuchen".
Die letzte Aussprache, auch sie gelingt nur ansatzweise. Die Abrechnung - der Sohn hadert mit der Gefühlskälte des Vaters, mit der Entscheidung, ihn als Kind ins Internat abzuschieben, obwohl er es doch hätte besser wissen müssen, hatte sein Vater ihm doch das gleiche Schicksal angetan -, sie fällt erstaunlich milde aus. Fast als hätte der Sohn anerkannt, dass sich sein Lebenskreis geschlossen hat und der Vater zum Kind wird, während er selbst eine Generation aufrückt. Behutsam und liebevoll, rührend und berührend. Dabei kommt Thomas Bammer mit grosser Präsenz und dichtem, eindringlichem Spiel, unterstützt nur durch Videoeinspieler, ohne grosse Gesten aus: "Spargel in Afrika" ist mit gerade mal einer Stunde ein komprimiertes, kluges Stück über das Altwerden, das Sterben und Familiengeschichte mit all ihen Fehlern und Versäumnissen, die sich eben doch wiederholen.
"Spargel in Afrika" wurde gefördert mit Mitteln der Stadt Linz und des Landes Oberösterreich.
"Spargel in Afrika" fand seine Uraufführung am 1. März 2018 im Landestheater Linz.
"Spargel in Afrika" dauert fünfundsiebzig Minuten ohne Pause.